
Womit die Banken Ihr Geld verdienen
Auch in der Pandemie gibt es Krisengewinner. Auf der einen Seite zwar Kurzarbeit und wirtschaftlicher Einbruch, auf der anderen dafür Höchststände bei Aktien-, Anleihen- und Immobilienmärkten. Die Covid-Pandemie ist ein Brandbeschleuniger der Vermögensungleichheit. Allerdings ist die Diskrepanz zwischen einer florierenden Finanzwirtschaft und einer stagnierenden Realwirtschaft kein neues Phänomen. Die Autoren einer im Dezember 2021 veröffentlichten Studie mit dem Titel „Der Finanzsektor ist zu groß“ haben recherchiert: „In den letzten 20 Jahren hat sich die Größe des Finanzsektors – gemessen am Gesamtbestand der finanziellen Vermögenswerte – im Verhältnis zur jährlichen Wirtschaftsleistung in der Eurozone verdoppelt.“ Nicht nur die schiere Größe wird kritisiert, auch wird die Einschätzung formuliert, dass sich der Finanzsektor zunehmend auf „schädliche Aktivitäten“ verlegt hat. Mehr Wachstum in diesem Sektor führt laut der Autor*innen aber zu mehr Kosten für die Gesellschaft und mindert so den Gesamtwohlstand.
Womit verdient der Finanzsektor also sein Geld? Spontan würde man sagen, mit Krediten für Unternehmen und Privatpersonen. Das mag ursprünglich mal so gewesen sein, trifft aber bspw. für die Banken der Eurozone heute nicht mehr zu. 2021 lag laut EZB der Anteil nur noch bei 29.9%. Was machen die also die ganze Zeit mit ihrer Kohle? „Den großen Anteil der sektorinternen Finanzgeschäfte bezeichnen wir als Selbstbeschäftigung des Finanzsektors und stellen die Frage: Welchen Nutzen bringt es, wenn Finanzakteure sich in großem Stil gegenseitig Geld leihen?“ Sie konzentrieren sich also immer mehr auf Geschäfte unter- und miteinander.
Laut der Jahresbilanz 2020 der Deutschen Bank wurden von ihr weltweite Kredite in einer Höhe von 431 Milliarden Euro vergeben. Nur 100 Milliarden davon gingen in die Realwirtschaft. Was aber in der Bilanz wirklich spektakulär ist, ist die Summe ausstehender Derivate: 32 Billionen Euro. Nun ist der Derivate-Handel, so betonen die Autoren, der überwiegend zwischen den Finanzkonzernen abläuft, nicht grundsätzlich negativ zu bewerten. Aber die radikalen Veränderungen im Derivatemarkt der letzten Jahrzehnte haben dazu geführt, dass sich z.B. der Großteil der Termingeschäfte nicht mehr auf Produkte aus der Realwirtschaft beziehen, sondern auf Finanzinstrumente und Währungen. Auch die EZB berichtet, dass nur 3% der gehandelten Derivatkontrakte mit Betrieben aus der Realwirtschaft geschlossen wurden, 2,2% mit dem öffentlichen Sektor oder der Zentralbank. Fast 95% wurde innerhalb des Finanzsektors abgewickelt. Der Kommentar der Autor*innen: „Auch die Anzahl und Vielfalt der Derivate ist erstaunlich. So waren im ersten Quartal 2021 in Deutschland mehr als 1,5 Millionen verschiedene Derivate registriert (…) Ein Großteil der Derivate richtet potenziell Schaden an.“
Ein destabilisierendes Phänomen dabei ist der sogenannte Hochfrequenzhandel. Ungefähr 80% des gesamten Aktienhandels der EU wird von Algorithmen abgewickelt, 60% des Aktienhandels in der EU werden im Hochfrequenzhandel durchgeführt. Zu niedrigen Kursen einkaufen und zu hohen verkaufen, oft innerhalb von Nanosekunden.
„Die Gewinne der Hochfrequenzhändler entstehen durch die Ausnutzung marginaler Preisunterschiede auf Kosten anderer Marktteilnehmerinnen, wie zum Beispiel Menschen, die Geld für ihre Rente anlegen (…) Der algorithmische Handel ist ein Paradebeispiel für die Selbstbeschäftigung des Finanzsektors. Er bringt nur wenigen wohlhabenden Finanzakteuren Vorteile, die auf Kosten anderer Akteure Geld abschöpfen. Wollen wir den Wohlstand aller mehren, müssen wir diesen Teil des Finanzsektors schließen“, so das Fazit der Autor*innen.
Diese Abschöpfung von Wohlstand findet außerdem in Form von Verkäufen ungeeigneter, überteuerter, zu komplexer oder zu riskanter Finanzprodukte an Unternehmen oder Privatkunden statt, die viele Unternehmen geschädigt oder sogar in den Ruin getrieben haben. „Einer Studie zufolge verloren deutsche Verbraucher*innen zwischen 2001 und 2010 mehr als 160 Milliarden Euro durch fehlgeleitete Vertragsabschlüsse“
Gleichzeitig gehören die Mitarbeiter*innen im Finanzsektor europaweit zu den Topverdienern. Die Deutsche Bank beschäftige 2020 684 Mitarbeiter*innen, die die Einkommensmillion überschritten haben. Die Nachrichtenagentur Bloomberg sieht europäische Investmentbanker für 2021 auf die beste Bonus-Saison seit 2015 zusteuern. „Dass die guten Geschäfte auch den staatlichen Hilfen zu verdanken sind, dürfte für viele Banker aber eher zweitrangig sein.“ Der Bonuspool wurde, so ist zu lesen, von vielen Banken ordentlich aufgestockt. JP Morgan +11%, Goldman Sachs +34%, und die Deutsche Bank + 20%. Der deutsche Primus steht börsenwertmäßig in Europa nur auf Platz 18, gönnt sich aber mit deutlichem Abstand die meisten Einkommensmillionäre. Ein „Bonusbooster für Dealmaker“ nennt das die Nachrichtenagentur. Da wirkt der „bis zu“ 3000.– € Corona-Bonus für Pflegekräfte doch eher bescheiden.
Die Studie weist außerdem darauf hin, dass seit der Finanzkrise 2008/2009 viel zu wenig geschehen ist. Zur Bankenrettung mussten damals 1,6 Billionen Euro in’s lichterloh brennende europäische Haus geworfen werden, Andrew Haldane geht von globalen Kosten von bis zu 200 Billionen Dollar aus. „Während die Gewinne privatisiert wurden, wurden die Verluste sozialisiert; sie wurden von der Öffentlichkeit getragen. Dies führte zu einem Fehlanreiz. Die Banken wurden für ihr riskantes Verhalten nicht bestraft, sondern durch Rettungsaktionen aufgefangen.“ Dies wird als „effektives Erpressungspotential des Finanzsektors“ angesehen, welches sich seither „eher noch verschlimmert“ hat. Eine bis heute noch übliche Praxis: 2017 wurde die italienische Banca Monte dei Paschi di Siena gerettet, 2019 die deutsche Bank Nord LB.
Davon profitiert auch das kaum kontrollierbare Reich der Schattenbanken, welches überwiegend aus Geldmarktfonds, Hedgefonds, Investment-Banken und Private-Equity-Fonds besteht. Diese neigen zu riskanteren Geschäften mit höheren Profiten und haben gleichzeitig keine Rückendeckung durch die Zentralbanken. Der Anteil der von Schattenbanken gehaltenen finanziellen Vermögenswerte in Europa hat sich seit 2002 auf über 54% fast verdreifacht. Die „normalen“ Banken halten 37%, die Zentralbanken die restlichen 9%.
Dazu kommen illegale Aktiengeschäfte wie z.B. „CumCum“ oder „CumEx“, aufgrund derer ein Steuerausfall der öffentlichen Haushalte von 150 Mrd. Euro geschätzt wird. Deutschland ist mit 38 Mrd. Euro ordentlich dabei. Die Panama-, Pandora- und Paradise-Papers haben außerdem gezeigt, dass die Branche ganz dick im illegalen Steuervermeidungssumpf steckt. Eine im Jahre 2018 veröffentlichte Studie geht davon aus, dass ca. 40% der Gewinne multinationaler Konzerne in „Schattenfinanzzentren“ verschoben werden. Im Jahr 2015 schätzungsweise 540 Milliarden Dollar weltweit. Schätzungen gehen davon aus, dass allein in Deutschland 100 Milliarden Euro pro Jahr gewaschen werden.
Durch die Coronakrise haben die weltweiten Aktienmärkte bis zum 23. März 2020 26 Billionen Dollar an Wert verloren. Besonders war der Schattenbankenbereich davon betroffen, da dessen Akteure zu einem großen Teil über den Kauf von „sicheren“ Staatsanleihen ihr Risiko minimieren, welche plötzlich aber gar nicht mehr so sicher waren. Deshalb sprang die EZB ein und kündigte an, dass allein bis Ende 2020 Staats- und Unternehmensanleihen im Wert von 1,85 Billionen Euro aufgekauft werden sollten. Wie gewaltig diese Rettungsaktion war, zeigt sich sehr eindrucksvoll in der Bilanzsumme der EZB: Zwischen 2007 und 2010, also zum Höhepunkt der Finanzkrise, wuchs diese um 813 Milliarden Euro. Allein im Jahr 2021 betrug ihr Wachstum zwischen Februar und Dezember 2.261 Milliarden Euro. Und wieder musste mit unfassbaren öffentlichen Summen u.a. das hochriskante Finanzsystem der Schattenbanken abgesichert werden.
Und auch was die Bekämpfung der Klimakrise betrifft ist die Banken-Bilanz katastrophal. Die Internationale Energieagentur (IEA) hat schon vor Jahren festgelegt, dass keine weiteren Investitionen in die Ausbeutung fossiler Brennstoffe mehr fließen dürfen. Trotzdem haben deutsche Banker zwischen 2015 und 2020 eine Billion Dollar in fossile Unternehmen und Projekte gesteckt und damit in eine Branche investiert, die das eingesetzte Kapital sehr wahrscheinlich nicht einmal amortisieren kann. Diese Einschätzung teilt auch ausdrücklich die EZB in einer Stellungnahme im Jahre 2019. „Wie die EZB 2019 feststellte, schaffen Banken auf diese Weise klimabedingt Risiken für die Finanzstabilität – und profitieren zumindest zunächst davon. Diese könnten zu schweren Finanzkrisen führen, unter denen am Ende – wieder einmal – ärmere Bevölkerungsgruppen am stärksten leiden.“ führen die Studienautor*innen aus.
Die Autor*innen kommen zu dem Fazit, dass der Finanzsektor von seiner ursprünglichen Rolle der Bereitstellung von Finanzdienstleistungen zur Finanzierung realwirtschaftlicher Tätigkeiten zu einem Sektor geworden ist, der sich auf das vollkommen unproduktive Abschöpfen von Wohlstand aus der Wirtschaft konzentriert hat und die ungleiche Verteilung der Vermögen weiter verschärft. Dies führt zu sozialen Verwerfungen innerhalb der Gesellschaft und zur Destabilisierung demokratischer Strukturen. „Eine Studie über Finanzkrisen im Laufe von 140 Jahren ergab, dass sich nach Finanzkrisen der Stimmenanteil extrem rechter Parteien um 30 Prozent erhöht. In ihrer jetzigen Form erscheint die Finanzindustrie als eine Gefahr für die Demokratie. Denn es werden zu viele Risiken eingegangen, die ihrerseits wiederkehrende Krisen heraufbeschwören.“
Die Autor*innen der Studie machen am Ende ihrer Veröffentlichung durchaus umsetzungsfähige Vorschläge, die allerdings den politischen Willen erfordern, endlich etwas gegen das ständige Auseinanderdriften der Vermögen zu unternehmen. Hoffentlich hat die Ampelkoalition den Schuss gehört.