
Skandal um Rosa
Wie kann so etwas passieren? Auf dem Video der Organisation „Soko Tierschutz“, das heimlich gefilmt wurde, ist zu sehen, dass im Gärtringer Schlachthof, zumindest zeitweise unhaltbare Zustände herrschten. Mittlerweile wurde der Schlachthof geschlossen. Das öffentliche Interesse und die Empörung sind riesig.
Bevor ich weiterschreibe, und meinen Senf dazu abgebe, möchte ich ausdrücklich betonen, dass ich nicht in der Lage bin, die tatsächliche Situation in Gärtringen einschätzen zu können. Aber die monatelange öffentliche Diskussion um die Missstände in Tönnies Fleischfabriken, um den Erhalt des Rottenburger Schlachthofs und jetzt die aufgedeckten Missstände in Gärtringen macht mir das Stillhalten beim Thema Schlachtung und Fleischverarbeitung unmöglich. Erst recht als Bio-Fleisch-Vermarkter mit fast 30-jähriger Erfahrung, wie wir sie im Marktladen haben.
Welche Erkenntnisse gibt es aus den vergangenen Monaten?
Erkenntnis 1:
Ein kleiner, in der Region geführter Schlachthof, ist keine Garantie für einen Betrieb, der den Tierschutz ernst nimmt. Wer es genau wissen will, muss sich informieren.
Warum ist das so? Weil „die Region“ keine Insel ist und weil die Republik vom „System Tönnies“ beherrscht wird. Und das bis in den hinteren Gäu-Winkel hinein! Der ökonomische Druck ist für solche kleinen Schlachteinheiten derart hoch, dass die Wahrscheinlichkeit, dass Missstände aufgedeckt werden können, mindestens so groß ist wie bei Tönnies-Fleischfabriken. Wie soll es sonst möglich sein, dass ein kleiner Schlachthof wie der in Gärtringen, bei um ein Vielfaches höheren Fixkosten pro Schlachtung, sich am Markt behaupten kann? Ohne „Zugeständnisse“ an Hygiene und Tierwohl? Die Bereitschaft, beim Metzger des Vertrauens mehr Geld auszugeben, ist in der Bevölkerung durchaus vorhanden. Aber halt nicht „zu viel“ Geld. Offensichtlich ist das leider noch zu wenig für einen geordneten Betrieb in Gärtringen.
Im Jahr 2019 wurden in Deutschland 59,7 Millionen Schweine, Rinder, Schafe, Ziegen und Pferde geschlachtet. Einschließlich des Geflügels produzierten die Unternehmen damit knapp acht Millionen Tonnen Fleisch. Der größte deutsche Schlachtbetrieb ist das Unternehmen Tönnies, gemessen an der Anzahl der Schlachtungen, mit einen Marktanteil von 30,3 Prozent. Andere große Schlachtbetriebe sind Westfleisch (14 Prozent), Vion (13,8 Prozent) und Danish Crown (6 Prozent). Insgesamt machen diese vier Unternehmen fast zwei Drittel des Gesamtmarktes bei der Fleischverarbeitung aus. Wichtigste Geschäftspartner dieser Großkonzerne sind die „Big Five“ im Lebensmittelhandel Edeka, Rewe, Schwarz-Gruppe, Aldi-Gruppe und Metro-Gruppe mit einem Anteil am Gesamtmarkt von weit über 75 Prozent. Also sowohl in der Verarbeitung als auch im Handel eine Marktmacht ohnegleichen! Wo soll es da eine „sichere“ (Vermarktungs-)Insel geben?
Erkenntnis 2
Großindustrielle Vertriebswege im Bio-Bereich bedeuten Verrat an öko-sozialen Standards und Zielen. Das ist der Preis, den der Bio-Sektor durch die prominenten „Partnerschaften“ aller großen Bio-Verbände (Bioland, Demeter, Naturland…) mit den Mächtigen der Lebensmittelbranche zu bezahlen hat.
Ist Bio besser? Diese Frage wird in der „Welt“ vom 18. Juni diesen Jahres gestellt.
„Tönnies ist nicht nur Marktführer beim konventionellen Fleisch, sondern auch Deutschlands größter Bio-Schlachtbetrieb. Und für die von Bio-Bauern angelieferten Tiere gelten keine gesonderten Bedingungen. […] Bio ist keine Frage der Schlachtung und Verarbeitung, sondern der Tierhaltung.“, erklärte ein Tönnies-Sprecher. Die Produktionseinheiten, sprich die landwirtschaftlichen Bio-Betriebe werden immer größer, die Transporte immer länger und die Situation für die Bio-Schlachttiere genauso unerträglich wie in der konventionellen Mast. Und die Arbeitssituation für die Menschen in den Schlachtfabriken ist und bleibt ein Skandal. Billig-Bio hin oder her. Die Folgen dieser „Schlacht- und Vertriebseffizienz“ spiegeln sich, natürlich, in den Preisen für Bio-Fleisch- und Wurstwaren bei den großen Lebensmittelkonzernen wieder.
Seit Jahren beobachte ich dieses Phänomen. Die Preisabstände zum Naturkosthandel sind in der Warengruppe Obst und Gemüse viel geringer als im Fleisch – und Wurstsortiment. Nur ein Beispiel aus dem EDEKA-Flyer vom Samstag, dem 05.09.2020, also an dem Tag, als die Meldung vom geschlossenen Gärtringer Schlachthof kam. Demeter – Hackfleisch wird zu einem Verkaufspreis angeboten, der minimal über unserem Einkaufspreis liegt. Im selben Flyer sind Bioland Mini-Roma-Tomaten im Angebot für einen Preis von 0,98 €/100g. Unser Normal-Preis für entsprechende Tomaten ist in derselben Woche 0,99 €/100g. Bio-Fleisch- und Wurstangebote gehen anscheinend viel billiger als die bei Obst oder Gemüse. Warum wohl? Die industriellen Strukturen, die Großkonzerne wie Edeka und Tönnies auch im Bio-Bereich eingeführt haben, machen es möglich. Wie unfassbar naiv war es, dass die Vorderen von Demeter, Bioland und anderen tatsächlich geglaubt haben, sie könnten verhindern, dass die Großkonzerne im Bio-Lebensmittelbereich konventionelle Strukturen etablieren, die völlig am Grundgedanken ökologischer Erzeugung und Wertschöpfung vorbeigehen. Bio für alle?! Fragt sich nur, zu welchem Preis und wer die Zeche zahlt?

Erkenntnis 3
Müssen wir jetzt alle aufhören, Fleisch und Wurst zu essen? Nein, natürlich nicht. Aber eben viel weniger – und viel mehr dafür bezahlen. Und am besten Bio-Fleisch aus der Region.
Unsere wichtigsten Lieferanten im Marktladen schlachten alle selbst und direkt im Betrieb: Die Metzgerei Allmendinger in Sonnenbühl, die Herrmannsdorfer Landwerkstätten, die Chiemgauer Naturfleisch-Bauern und unser Bio-Putenlieferant Familie Wallner schlachten alle im eigenen Betrieb.
Etwas komplizierter ist die Sache bei den Bruderhähnen von unserem Bioland-Partner Hofgut Martinsberg aus Rottenburg. Es gibt keinerlei Schlachtkapazitäten für kleinere Geflügeleinheiten in der Region. Momentan findet die Schlachtung der Bruderhähne auf dem Bachbauernhof bei Augsburg statt. In der dortigen Hofschlachterei. Leider ist dieser Transport momentan ohne Alternative – ein Grund mehr, in Rottenburg einen Schlachthofstandort zu sichern und auszubauen.
Beim Hähnchenfleisch haben wir das Problem, dass unser regionaler Lieferant aus Vaihingen/Enz Ende 2018 mit der Hofschlachtung aufgehört und die komplette Bioland-Geflügelhaltung beendet hat. Warum? Weil die technischen und hygienischen Anforderungen an einen neuen bäuerlichen Schlachtbetrieb derart hoch sind, dass sie sich mit dieser kleinen Stückzahl an Tieren vom Hof nicht „rechnen“ ließ. Die Familie hatte nicht den Mut, die erforderlichen 1,5 Millionen Euro in ihre Hofschlachterei zu investieren. Das haben wir sehr gut verstanden. Trotzdem war dies äußerst ernüchternd, da die Familie Jungclaussen mit ihrem Bioland-Hof weit und breit der einzige Betrieb mit Bio-Geflügel und einer Schlachtmöglichkeit auf dem eigenen Hof war. Unser Hähnchenfleisch wird momentan in Riedlingen geschlachtet. Die Tiere kommen von verschiedenen Betrieben aus dem süddeutschen Raum. Es sind alles Familienbetriebe, mit bäuerlicher Produktionsstruktur und ausschließlich Bio-Verbandsbetriebe. Ohne jeden Zweifel sehr gute Ware mit in jeder Hinsicht höchster Qualität. Aber wir sind weiter auf der Suche nach einem Familienbetrieb mit Bio-Hähnchenhaltung, mit dem wir dann in direkten Geschäftskontakt treten können.