
Nicht ganz sauber
Vor gut vier Jahren habe ich in der Marktlese einen „Schneiders Senf“ mit der Überschrift „Kaufen Sie kein Mineralwasser!“ geschrieben. Es hat nichts genutzt. Die Deutschen kaufen Mineralwasser in weiter steigenden Mengen. 2018 wurden laut Verband Deutscher Mineralbrunnen pro Kopf 150 Liter getrunken, insgesamt 11,7 Milliarden Liter. Auf der Website der „Informationszentrale Deutsches Mineralwasser“ begegnet man schon auf der ersten Seite den wichtigsten Begriffen, auf denen sich dieser unglaubliche Boom begründet: „Naturprodukt Wasser“, „Mineralwasser für Genießer“, „Trinktipps für Sommer-Sportler“. Es geht also um Gesundheit, Genuss und Fitness. Die zentralen Begriffe der deutschen Selbstoptimierungs-Religion. Und wenn’s zum Sport mal nicht reicht, ist das nicht so schlimm: Man hat ja den ganzen Tag reichlich und überaus gesundes Mineralwasser getrunken. Das ist schon fast ein bisschen wie „sporttreiben“. Und ein Genuss ist es allemal: “Zischt, prickelt und schmeckt“! Es ist also mit stetig steigendem Erfolg möglich, Menschen dazu zu bringen, Wasser in der Flasche zu kaufen und dafür einen vielfach höheren Preis zu bezahlen, als sie für Trinkwasser aus der Wasserleitung ausgeben müssten. Und das jeden Tag. Ein Kostencheck kommt zu folgendem Ergebnis: Während eine Person bei Leitungswasserkonsum ca. 0,045 €/Tag für einen Bedarf von 1,5 Liter aufwenden muss, fallen bei Mineralwasser von Gerolsteiner 1,005 € an, bei Apollinaris 1,11 € und beim edlen Evian 1,25 €. Also mindestens Faktor 25 bei den Kosten. Im Jahr 16,42 € bei Leitungswasser, bei Evian 456,25 €
Gesundheit
Gegen dieses „Mineralwasser-Lebensgefühl“ scheint kein Kraut gewachsen zu sein. Ende Juni 2019 berichtete der Spiegel unter der Überschrift „Stiftung Warentest rät zu Leitungs- statt Mineralwasser“, dass bei der Hälfte der untersuchten Mineralwässer die Tester zu hohe Keimbelastungen aus Landwirtschaft und Industrie oder Verunreinigungen mit anderen Schadstoffen fanden. Öko-Test veröffentlichte fast zeitgleich einen Test von Mineralwasser. In ca. 20% wurden Abbauprodukte von Pestiziden oder synthetischen Süßstoffen gefunden. Bei einigen waren die Arsenwerte zu hoch, das „Premiumwasser“ Apollinaris bekam wegen stark erhöhter Borwerte ein „ungenügend“.
Immer wieder wird seit Jahren betont, wie unsinnig aus gesundheitlicher Sicht dieser Mineralwasser-Hype ist. Immer wieder wird von der hervorragenden Trinkwasserqualität in Deutschland berichtet. Häufig wird es als das bestuntersuchte Lebensmittel bezeichnet. Aber ohne Erfolg! Und man muss es mit großem Bedauern erwähnen: Der Naturkosthandel war nicht unmaßgeblich an diesem Mineralwasser-Hype beteiligt: Neumarkter Lammsbräu hat sogar ein „Biokristall“ Mineralwasser im Angebot, mit höchstrichterlicher Genehmigung durch den Bundesgerichtshof. Und nicht wenige der angebotenen Wasser kommen sogar aus dem europäischen Ausland. Insgesamt werden in Deutschland etwa 1,2 Milliarden Liter importiert. Immerhin 10% der Verbrauchsmenge.
Ökologische Folgen 1
Aber nicht nur aus gesundheitlicher Sicht ist dieser Mineralwasserboom nicht nachvollziehbar, sondern er hat auch erhebliche Folgen für die Menschen. Zum Beispiel für die Menschen in Vittel.
Vittel – wer kennt dieses Wasser nicht in Europa? Die Mutter aller Mineralwässer. Im Jahre 1854 in der Gemeinde Vittel im Osten Frankreichs gegründet, begann der unaufhaltsame Aufstieg des Wassers in Flaschen. 1968 machte der Betrieb Furore mit der ersten Plastikflasche weltweit. 1968 stieg Nestlé in die Firma ein und übernahm sie 1992 komplett. Mit dem Wasser werden in der Region fast 300 Millionen Euro pro Jahr umgesetzt. Doch das bisher schier endlos erscheinende Wasserreservoir mit einem Volumen von 180 Milliarden Liter schwächelt zunehmend. Der Wasserspiegel sinkt. Nestlé entnimmt bis zu einer Milliarde Liter Wasser pro Jahr. Und wie soll das Problem behoben werden? Indem man die Bevölkerung per Pipeline mit Wasser aus entfernten Regionen versorgt. Um die Geschäfte und damit den Wohlstand der Region zu sichern, wurde beschlossen, dass die Bewohner von Vittel nicht mehr in den Genuss ihres gesunden Wassers kommen sollen. Aber gegen die Jahrzehnte alte Kungelei zwischen Konzern und Politik erwächst Widerstand. Recht so!
Ökologische Folgen 2
Es ist kurz und knapp folgendermaßen: Die Ökobilanz von Mineralwasser ist eine Katastrophe.
Das Schweizer Forschungsinstitut ESU-Services bewertet mit sogenannten Erdöl-Äquivalenten den Energieverbrauch von Mineralwasser im Vergleich zu Trinkwasser aus der Leitung. Das Erdöl-Äquivalent ist eine Maßeinheit für die Energiemenge, die beim Verbrennen von einem Kilogramm Erdöl freigesetzt wird. Ergebnis: Am schlechtesten schneiden Mehrweg-Glasflaschen mit langen Transportwegen ab. Pro Liter errechnet sich ein Bedarf von 300 Erdöl-Äquivalenten. Leitungswasser lag im Vergleich bei 0,4 Punkten. Dies bedeutet, dass der Energiebedarf von Mineralwasser pro Liter im Vergleich zu Leitungswasser bis zu 750-mal höher liegt. Selbst beim Einsatz eines sogenannten Wassersprudlers bleibt die Umweltbelastung immer noch achtmal kleiner als beim gekauften Mineralwasser.
Andere Berechnungen kommen zu einem ähnlichen Ergebnis. Sie ermitteln den Energiebedarf anhand von CO2-Äquivalenten und stellen fest, dass importiertes Mineralwasser aus der Flasche bis zu 1000-mal mehr Treibhausgase verursacht wie Leitungswasser. Würde man z.B., so wird vorgerechnet, alle BerlinerInnen dazu bringen, ihren Wasserdurst nur noch mit Leitungswasser zu stillen, könnten pro Jahr 100.000 Tonnen CO2 eingespart werden. Grob hochgerechnet auf die Gesamtbevölkerung Deutschlands wären das um die zwei Millionen Tonnen CO2-Äquivalente. Und die entsprächen, nur zu Veranschaulichung, über einer Milliarde PKW-Kilometer.
Die Konsequenzen?
Vor einiger Zeit war ein Außendienstmitarbeiter eines Lieferanten bei uns im Marktladen und hatte mich im Gespräch gefragt, warum wir ein so bescheidenes Mineralwasser – Angebot hätten, wo es sich doch ständig steigender Beliebtheit erfreue. „Weil wir kein Interesse am Verkauf von Mineralwasser haben“ war meine Antwort. Das fand er ziemlich ungewöhnlich, aber irgendwie verständlich nach meiner Begründung. Unser Angebot beschränkt sich deshalb auf Wasser aus Reutlingen und aus dem Schwarzwald. Dann noch das St. Leonhard Wasser unweit vom Chiemsee. Das muss reichen, meine ich. Ich hoffe, Sie sind auch meiner Meinung. Und zum Tässchen Kaffee gibt’s ja ein Glas Leitungswasser – was sonst?