
Kolumne: Deutsche Supermärkte und ihre „Nachhaltigkeit“
Anfang Juli konnte man auf dem Online-Portal biohandel lesen: Real, die Hypermarktkette mit 282 Filialen schließt mit dem Demeter-Verband einen Vertrag über eine „partnerschaftliche Zusammenarbeit“. Ende 2017 hatte die Supermarktkette schon mit Demeter-Produkten mit einem 25-prozentigen Preisnachlass geworben, was dem Demeter-Verband viel Kritik einbrachte und wodurch er sich bemüßigt sah, öffentlich klarzustellen, dass es keinen Vertrag zwischen Verband und Real gäbe. Mit 7,2 Milliarden Euro Umsatz pro Jahr gehört Real zu den Kleineren im Lebensmittelhandel. Der Platzhirsch, die Edeka-Gruppe macht 57 Milliarden im Jahr. Gefolgt von Rewe (42 Mrd.), der Schwarz-Gruppe (Lidl/Kaufland 38 Milliarden), der Aldi-Gruppe (29,5 Milliarden) und der Metro-Gruppe, zu der Real gehört, mit 13,5 Milliarden.
Real hat nach eigenen Aussagen rund 0,25 Prozent seines Sortiments mit dem Verbandszeichen Demeter gelabelt. Insgesamt, also nicht nur durch Demeter-Produkte, liegt der Bio-Umsatzanteil bei vier bis fünf Prozent. Damit wird die erst kürzlich im Demeter-Verband vereinbarte Zahl von sechs Prozent Mindestumsatzanteil mit Demeter-Produkten für einen Partnerschaftsvertrag dramatisch unterschritten. Aber das scheint im Verband niemanden zu stören. Es stört sie auch nicht, dass Real größte Aufmerksamkeit mit seiner Preisaggressivität erreicht hat. Und das ist nicht nur beim Demeter-Verband so. Auch Bioland, Naturland und alle anderen sind auf Partnersuche im konventionellen Lebensmittelhandel. Und dies um jeden Preis, so scheint es jedenfalls. Edeka, Rewe, Lidl und Aldi schmücken sich mit einem neuen nachhaltigen Image. Dabei geht es um im Durchschnitt fünf Prozent ihres Gesamtumsatzes. Der Verbandswaren-Anteil liegt noch deutlich darunter. Allerdings wird fast die Hälfte des Werbebudgets von den Großen mittlerweile in die Themen Regionalität, Nachhaltigkeit und Bio gepumpt.
Die entscheidende Frage ist doch, wie es abseits der Hochglanzbroschüren bei den „restlichen“ 95 Prozent des Umsatzes aussieht. Kann es sein, dass mit rabiaten Geschäftsmethoden im konventionellen Handel das Bio-Image querfinanziert wird? Und sollten sich Verbände und VerbraucherInnen dann nicht fragen, ob nachhaltiges Wirtschaften und der gnadenlose Konkurrenzkampf im deutschen Lebensmittelhandel schlichtweg unvereinbar sind. Was würden wir sagen, wenn Heckler & Koch weltweit Einrichtungen für Kriegswaisen sponsern würde? Sie halten das für einen zynischen Vergleich? Dann lesen Sie weiter!
OXFAM hat in einer aktuellen Studie unter dem Titel Fairness eintüten das Geschäftsgebaren namhafter Handelsketten in Europa und den USA überprüft. Bis zu hundert Punkte wurden für vorbildliches Verhalten vergeben. Das Ergebnis: Die großen deutschen Handelsketten bekommen in vielen Kategorien nicht einen einzigen Punkt! Ein vernichtendes Urteil. Die Autoren schreiben, dass: „[k]eine der „Big Four“, das heißt der vier größten deutschen Supermarktketten, […] ihrer Verantwortung gerecht [wird], das Risiko von Menschenrechtsverletzungen in ihren Lieferketten zu identifizieren, öffentlich zu machen und entsprechend darauf zu reagieren. […] Deutschlands vier größte Supermarktketten gehören damit zu den im globalen Vergleich am schlechtesten bewerteten Unternehmen. […] Menschenrechte sind in der Geschäftspolitik der deutschen Einzelhändler nur eine Fußnote.“
Dabei sehen die Autoren der Studie folgende strukturelle Grundlagen für diese beklagenswerte Situation:
- Die Macht der Supermärkte nimmt weltweit zu. Dabei ist nicht nur die Marktmacht in einzelnen Ländern gemeint, die vier großen deutschen Konzerne teilen z.B. 85 Prozent des bundesdeutschen Umsatzes unter sich auf. Zunehmend operieren die Konzerne weltweit, Lidl z.B. in 27 Ländern, Wal-Mart aus den USA in 29 Ländern. Ein Großteil der Kosten und Risiken werden auf die Produzenten abgewälzt.
- Der Gewinn der Konzerne am Endverbraucherpreis steigt seit Jahren an. 2015 flossen über 50 Prozent davon in die Kassen der Lebensmittelmultis. Die Bäuerinnen und Bauern erzielten einen minimalen Zuwachs, allerdings bei Kostensteigerungen bei manchen Produkten von bis zu 75 Prozent. Besonders extrem sieht es für vietnamesische Garnelenproduzenten aus. Ihr Anteil am Endverbraucherpreis liegt bei 1,5 Prozent. Rund um den Globus wird die Situation für die Produzenten immer prekärer.
- Teilweise herrschen sklavenähnliche Ausbeutungssysteme. Häufig liegen die Löhne unter dem Existenzminimum, fehlende Arbeitsverträge, nicht bezahlte Überstunden, mangelnde soziale Absicherung, Bekämpfung gewerkschaftlicher Aktivitäten, sexuelle Belästigung, Anwendung von Gewalt, Kinderarbeit, fehlende Schutzbekleidung, Kontamination mit Pestiziden und vieles andere mehr. Führt man sich vor Augen, dass auf der aktuellsten Forbes-Liste die Aldi-Familien Platz eins und vier der reichsten Deutschen und Dieter Schwarz, Eigentümer der Schwarz-Gruppe den sechsten Platz belegen, wird offensichtlich, dass es einfach nur Profitgier ist, die diese unsäglichen Zustände weltweit verursacht.
Dabei betont die Studie durchaus, dass die Lebensmittelkonzerne nicht die einzigen Schuldigen an den Missständen sind. Die Verfasser der Studie bemängeln aber, dass sie „mit ihrer starken Marktposition […] soziale und ökologische Standards [...] durchsetzen und Menschenrechtsverletzungen verhindern [könnten]. Doch stattdessen missbrauchen sie ihre Macht, indem sie einen enormen Preisdruck auf Lieferanten ausüben und damit eine sozial, gerechte und nachhaltige Lebensmittelproduktion erschweren oder sogar unmöglich machen.“
Deshalb machen die Autoren konkrete Vorschläge. Sie fordern eine „Revolution und eine faire Verteilung der Einkommen“. Und sie lassen keinen Zweifel daran, dass das menschenverachtende System nur durch höhere Verbraucherpreise revolutioniert werden kann.
Ihre Forderungen an die Lebensmittelkonzerne:
- Offenlegung von Lieferbeziehungen und Produktionsbedingungen.
- Schaffung von Rahmenbedingungen, die die menschenrechtliche Sorgfaltspflicht der Unternehmen gewährleisten.
- Bekämpfung von Menschenrechtsverletzungen, u.a. durch Zusammenarbeit mit lokalen Organisationen. Es müssen effektive Beschwerdemechanismen eingerichtet und nötigenfalls Rechtsmittel eingesetzt werden.
- Offenlegung von Produktionsketten und Einkommensverhältnissen und geschlechtsspezifischen Einkommensunterschieden.
- Aktive Unterstützung und Förderung von ArbeitnehmerInnenvertretungen vor Ort, wie z.B. die Gründung von Gewerkschaften.
- Förderung kleinbäuerlichen Strukturen und Beendigung der nicht nachhaltigen Produktion in Monokulturen.
- Gewährleistung fairer Handelspraktiken besonders durch faire Preise für die Handelspartner und von Löhnen, die ein menschenwürdiges Leben und eine nachhaltige Produktion sichern.
- Einflussnahme im Sinne der Interessen der Bäuerinnen und Bauern auf nationale und regionale Behörden.
- Umsetzung der Grundsätze der UN zur Stärkung der Frauen in Unternehmen.
- Förderung von Handelsbeziehungen, die die Verhandlungsmacht der Produzenten stärken. Unterstützung bei der Gründung von Kooperationen und Genossenschaften.
Sind Großkonzerne, deren Geschäftsgebaren sich in den vergangenen Jahren für die „Handelspartner“ dramatisch verschlechtert hat und die gleichzeitig ungeheuerliche Vermögen (siehe Forbes Liste der reichsten Deutschen 2018) anhäufen, die richtigen Partner für eine Bio-Landwirtschaft mit Zukunft? Die Bio-Verbände schließen sich mit „Partnern“ zusammen, denen es keinesfalls um eine grundsätzliche Korrektur ihrer Handelsgrundsätze geht, sondern schlicht um die Partizipation an der steigenden Nachfrage nach Bio-Produkten.
Was will Oxfam mit dieser Veröffentlichung erreichen? Die Autoren benennen ihre Motivation eindeutig. Sie wollen mit dem Vergleich und der Bewertung der Handelspraktiken der Supermärkte, insbesondere im Einkauf der Waren, die „nötigen Informationen liefern, damit Menschen, die bei ihnen einkaufen, arbeiten, an sie liefern oder in sie investieren, sie zur Verantwortung ziehen können“. Denn Menschenrechte sollten überall gelten, dort wo Supermärkte ihre Waren einkaufen und auch dort, wo Menschen diese Lebensmittel produzieren.
Am 13. Juli kam über Spiegel Online folgende Meldung:
„Der Handelsriese Metro will bei Real „wettbewerbsfähige Personalkosten“ durchsetzen, um die Sanierung der Kette voranzutreiben. Real hatte im Frühjahr den Tarifvertrag mit Verdi gekündigt und bezahlt nach dem Wechsel in den Arbeitgeberverband AHD neue Mitarbeiter künftig nach den für das Unternehmen deutlich günstigeren Tarifverträgen mit der Gewerkschaft DHV.“
Verdi beklagt in diesem Zusammenhang eine Reduzierung der Löhne um 25 Prozent.
Bei solchen Schlagzeilen muss man sich fragen: Ist billig wirklich das wichtigste bei Lebensmitteln.
– Michael Schneider
Dieser Text erschien in der Rubrik „Schneiders Senf“ im Kundenmagazin des Marktladen, der Marktlese 08/2018