
Hansalim
Seoul ist ein städtebaulicher Superlativ. Knapp zehn Millionen Einwohner*innen leben in dieser Stadt. Das sind fast dreimal so viele Menschen wie in Berlin und, was die Einwohnerdichte angeht, ist es dort viermal so eng. Seoul ist das Zentrum der Metropolregion Sudogwon, in der über 25 Millionen Menschen wohnen. Südkorea ist einer der vier ursprünglichen „Tigerstaaten“, also eines der Länder im südostasiatischen Raum, die in den 1980er Jahren dank sehr hoher Wirtschaftswachstumsraten vom Entwicklungsland zur Industrienation aufstiegen. Beim Bruttoinlandsprodukt belegt Südkorea aktuell weltweit den 14. Platz. Die Landwirtschaft verliert, wie ist es anders zu erwarten, seit Jahrzehnten immer mehr an Bedeutung für das Land. Die südkoreanischen Bäuerinnen und Bauern erleben einen heftigen Strukturwandel, wie in allen anderen Industriestaaten auch, hin zu immer größeren Produktionseinheiten.
Aber dann gibt es dort auch Hansalim („Bewahre alles Lebendige“), die größte ökologische Genossenschaft weltweit. Unmittelbar vor den Toren der Stadt. Bereits vor 35 Jahren gegründet, also 1986, war die Genossenschaft zunächst ein eher lockerer Zusammenschluss von Landwirt*innen, die ihre Produkte in der Metropole verkaufen wollten. Heute zählen zu der Genossenschaft landesweit fast 2300 landwirtschaftliche Betriebe, die rund 644.000 Haushalte versorgen; das heißt zwei Millionen Menschen bekommen täglich regionale Produkte geliefert!
„Hansalim ist ein Schutzschild für uns“, sagt Landwirt Kyung. Er sieht aber auch neue Herausforderungen: „Die jungen Leute leben allein und kochen einfach nicht mehr. Wir müssen unser Angebot weiterentwickeln. Wir brauchen Betriebe, in denen Fertigprodukte hergestellt werden können.“ An den Verarbeitungsbetrieben der Genossenschaft sind in der Regel Menschen aus der Produktion, aber auch Konsument*innen beteiligt. Das Prinzip der Genossenschaft, so definierten es die Gründerväter, sei ein „gemeinschaftlicher Individualismus“.
1989 wurden die Statuten in einem Manifest festgelegt. Die beiden wichtigsten lauten: Solidarität zwischen Stadt und Land sowie Schutz der Umwelt. Jedes Jahr entscheidet ein Gremium über den Verdienst der Landwirt*innen und die Preise für die Produkte. Dazu gibt es monatlich vorbereitende Treffen zwischen Produzierenden und Konsumierenden, bei denen beide Seiten die Kosten der Bäuer*innen und die Belastung der Käufer*innen abschätzen, die vergangene Ernte auswerten und Prognosen für die kommenden Saison erstellen. Dass es dabei auch zu Uneinigkeit kommt, liege in der Natur der Sache, meint ein Bauer, denn die Interessen beider Gruppen stünden sich ja eigentlich eher entgegen: „Die einen wollen viel Ertrag und hohe Preise, die anderen gute Qualität, die wenig kosten soll.“ Er nennt das die „eingesickerte kapitalistische Logik“ in die Genossenschaft. Aber er sagt auch: „Noch gelingt es uns ganz gut, Kompromisse zu finden, also Löhne und Preise, mit denen beide Seiten einverstanden sind.“
Damit dies auch weiterhin gelingt, wird in der Schaltzentrale mit rund 200 Mitarbeitenden hart gearbeitet, z.B. mit Newslettern oder einer monatlichen Mitgliederzeitschrift. Ganz besonders wichtig sind die von der Zentrale organisierten und durchgeführten gegenseitigen Besuche. Die Landwirt*innen kommen in die Stadt und die Stadtbewohner*innen fahren raus aufs Land. „Die Menschen müssen sich gegenseitig ihre Geschichten erzählen“ ist das Motto. Die Geschäftsführerin der Genossenschaft sagt, ihr Job bedeute vor allem eines: zuhören. Die Mitglieder reden nicht nur bei den Preisen mit, sondern auch bei den Standards in Sachen Produktsicherheit und Umweltschutz. Das sei manchmal anstrengend, sagt sie. Aber gemeinsam für etwas verantwortlich zu sein, spreche viele Menschen an.
Immer mehr sind davon überzeugt, dass Unternehmen nicht nur nach Gewinn streben, sondern auch eine soziale Funktion in der Gesellschaft haben sollten. Hansalim passe zu diesem Bewusstseinswandel: „Die Leute kaufen nicht nur Reis oder Gemüse in guter Qualität, sie kaufen eine Erfahrung. Sie sind Teil einer Bewegung.“ Jedes Jahr kommen Tausende neue Genossenschaftsmitglieder hinzu.
Es wäre jetzt natürlich vermessen, die Landkreise Reutlingen, Tübingen und Zollern-Alb mit ihren ca. 700.00 Einwohnern mit dem Großraum Seoul zu vergleichen. Und, bei allem schwäbischen Selbstbewusstsein, der Begriff Metropolregion wäre doch etwas übertrieben. Aber seit zwei Jahren tut sich einiges in dieser ganz besonderen schwäbischen Region, mit ihren städtischen Zentren Reutlingen, Tübingen und Balingen: Seit August 2019 gibt es die Xäls eG – die ökologische Genossenschaft Neckar-Alb. Ähnlich wie bei Hansalim – nur lokal begrenzt auf die Region Neckar-Alb – geht es auch hier um die Solidarität von Produzierenden, Verarbeitenden, Händler*innen und Konsument*innen.
Die Xäls eG steht für regionale Wertschöpfung: Was in der Region Neckar-Alb erzeugt werden kann, soll auch hier erzeugt, verarbeitet und verkauft werden. Und wer Geld sinnvoll und nachhaltig investieren möchte, dem soll das hier in der Region möglich sein.
Transparenz und Nachprüfbarkeit schaffen Klarheit und Vertrauen. Innerhalb der Genossenschaft ebenso wie nach außen. Welche Rohstoffe werden eingesetzt? Wo kommen die Waren her? Wie werden Tiere gehalten? Diese (und weitere) Fragen müssen beantwortet werden.
Im Zentrum steht für die Genossenschaft Natur- und Tierschutz. Nur mit einer konsequenten ökologische Landwirtschaft kann die Vielfalt und das Artenreichtum unserer Landschaft erhalten werden. Indem wir Verbraucher*innen und Marktakteur*innen aus Erzeugung, Verarbeitung und Handel an einen Tisch bringen, ermöglichen wir Austausch und fördern Verständigung untereinander. Auf diesem Weg wird Interessenausgleich und Solidarität möglich gemacht. Wir wollen eine Lebensmittelwirtschaft mit fairen Preisen und angemessener Entlohnung auf allen Stufen.
Das Ziel ist es, eigene Verarbeitungs- und Vermarktungsstrukturen aufzubauen und eigene Mittel einzuwerben, um Unabhängigkeit von den wenigen preisbestimmenden Großkonzernen zu gewährleisten und die Partnerbetriebe zu unterstützen. Denn so wird die Region langfristig vor den Kapitalinteressen rein renditeorientierter Banken und Investor*innen geschützt.
Xäls wird finanziell und inhaltlich maßgeblich von den Verbraucher*innen getragen und gestaltet. Deshalb braucht es die breite Beteiligung von Menschen in der ganzen Region Neckar-Alb, die sich aktiv einbringen.
Klar, dass wir vom Marktladen Xäls-Partnerbetrieb sind. Aber wir sind noch ganz am Anfang mit der Genossenschaft. Und die Pandemie hat unsere Öffentlichkeitsarbeit ordentlich ausgebremst. Viele Veranstaltungstermine mussten abgesagt werden. Doch die letzten anderthalb Jahre haben gezeigt, wie verwundbar unsere globalen Lieferketten sind. Und wie wichtig es ist, sich schnell und entschieden über eine grundlegende ökonomische Neuausrichtung in der Gesellschaft zu verständigen. Wir haben erlebt, wie viele Dinge mit noch so vielen Milliarden Euro nicht mehr zu unseren Gunsten geregelt werden können. Und auch, wie ein einziges Containerschiff den Sueskanal blockieren und dadurch globale Warenströme auf Monate hinaus beeinträchtigen kann.
Wenn rund um den Globus Tagelöhner, die größtenteils unter unsäglichen Arbeitsbedingungen für unseren Wohlstand schuften, in den Lockdown geschickt werden, dann funktioniert auch das nicht mehr, was wir bisher für selbstverständlich hielten: Die möglichst günstige Befriedigung unserer Konsumbedürfnisse. Plötzlich wurden auch billige Masken, billige Medikamente, billige Halbleiterplatten und billige Mikrochips knapp. Es wird deutlich: Die Anfälligkeit der bisherigen Wirtschaftslogik für globale Krisen ist enorm. Das System der permanenten und systematischen Ausbeutung von hunderten Millionen Menschen in den „Billiglohnländern“ ist absolut inakzeptabel. Das globale Wirtschaftssystem muss komplett neu organisiert werden.
Fangen wir damit in unserer Region an! Am besten sofort! Denn wir brauchen diesen Umbau zu einer ökologischen und regionalen Wertschöpfungskette schon längst. Und deshalb ist es in wirklich jeder denkbaren Hinsicht wichtig, dass wir uns jetzt zusammenschließen und gemeinsam zeigen, dass und wie es möglich ist, anders zu wirtschaften!
Werden auch Sie Teil einer aktiven Bewegung für mehr Ökologie und Solidarität! Hier in der Region Neckar-Alb: Werden Sie Genoss*in bei der Xäls eG!
Umfassende Informationen finden Sie auf: www.xaels.de
Sie wollen uns persönlich kennenlernen, dann beachten Sie bitte unsere Veranstaltungen in den kommenden Monaten: www.xaels.de/termine