
Die Lösung für die Krise?
Ich fühle mich zurückversetzt ins Jahr 2007. Gegenwärtig lassen sich die aus der damaligen Finanzkrise bekannten Reflexe und Lösungsansätze für die deutsche Wirtschaft erkennen. Es sind wieder die mächtigen Konzerne mit einer einflussreichen Lobby, die ihre Interessen ohne Rücksicht auf das Gemeinwohl durchsetzen, da sie too big to fail sind.
Im großen Gezerre um Milliardenbeträge als Corona-Hilfe fordern beispielsweise die deutschen Autofirmen eine staatliche Kaufprämie, um den Absatz anzukurbeln. Von bis zu 4.000.- € ist die Rede. Die Herren erinnern sich noch gerne an die fünf- Milliarden-Euro-schwere „Abwrackprämie“ während der Finanzkrise. Und diese Kaufprämie soll ausdrücklich auch den Verkauf von Verbrennungsmotoren forcieren. Betriebsratschef Bernd Osterloh von VW schreibt, dass sich auch die Arbeitnehmervertretung stark machen werde, „(...) dass die Politik Geld für diesen Impulsstoß bereitstellt.“ Was für alle vollkommen normal zu sein scheint: die Autobauer bekommen schon staatliche Hilfen in Milliardenhöhe in Form von Kurzarbeitergeld.
Gleichzeitig weigern sich die Konzernspitzen, Dividendenzahlungen auszusetzen. Die Präsidentin des Verbands der deutschen Automobilindustrie, Hildegard Müller, meint dazu, dass dies „(…) sicher nicht der richtige Schritt (wäre)“. Für die Firmen sei es sehr wichtig, ihre Aktionäre an Bord zu halten. Hierbei ginge es um den Schutz vor Übernahmen durch ausländische Konzerne. Völlig anders hingegen eine PKW-Kaufprämie, diese solle angeblich verunsicherte Verbraucher*innen zu einer Neuanschaffung motivieren. Auch Daimler-Chef Ole Källenius wünscht sich Kaufprämien auf breiter Front: „Wir wären für eine einfache Prämie quer über alle Segmente und Produkte hinweg“, erläuterte er. Diese solle „die Nachfrage ankurbeln, das ist ganz, ganz wichtig“. Und er mahnt zur Eile: „Wenn man sich für eine Kaufprämie entscheidet, dann muss man sich schnell dafür entscheiden.“ Denn sonst fingen die Kunden an, zu spekulieren und auf bessere Angebote zu warten. „Das würde zu mehr Kaufzurückhaltung führen“, so Källenius.
Nicht nur die Automobilbranche, auch die Textilindustrie nutzt die Gelegenheit, um sich hohe Finanzhilfen zu sichern. Adidas erntete Anfang März noch wenig Applaus für die Ankündigung Mietzahlungen auszusetzen. Jetzt ist von Krediten in Höhe von 2,4 Milliarden Euro die Rede und weiteren Zuwendungen in Höhe von 600 Millionen Euro. Seit 2015 hat Adidas insgesamt zwei Milliarden Euro Dividende ausgeschüttet. Der Konzern bemüht sich jetzt rührend um den Erhalt deutscher Arbeitsplätze, während er schon lange zeigt, dass ihm das Wohlergehen der Menschen völlig gleichgültig ist: zum Beispiel wenn es um die Löhne und Existenzsicherung der Näher*innen seiner Sportartikel andernorts geht. Die „Kampagne saubere Kleider“ und die Christliche Initiative Oskar Romero (CIR) prangern seit vielen Jahren sklavenähnliche Arbeitsbedingungen bei Lieferanten von Adidas an.
Und auch die Lufthansa hat in den vergangenen fünf Jahren einen Jahresüberschuss nach Steuern von fast zehn Milliarden Euro erwirtschaftet. Trotzdem brauche der größte europäische Luftfahrtkonzern Milliarden an staatlichen Geldern. Pro Stunde verliere der Kranich-Flieger eine Millionen Euro, sagt dessen Boss Carsten Spahn. Zusätzlich entstehen Milliardenkosten aufgrund vieler stornierter Flüge. Außerdem rechne der Konzern mit negativen Folgen für die nächsten zehn Jahre, was eine zusätzliche Kredittilgung von einer Milliarde Euro pro Jahr erforderlich mache.
Ende April kam über den Nachrichtenticker, dass die Lufthansa-Gruppe außerhalb Deutschlands für ihre Tochterunternehmen Swiss Air und Edelweiss sowie Austrian Airlines erfolgreich um Milliardenkredite feilsche. Die Schweizer Regierung gibt staatliche Garantien in Höhe von 1,2 Milliarden Euro, auch der österreichische Kanzler Sebastian Kurz wurde um Hilfen über 767 Millionen Euro angefragt. In Deutschland stocken die Verhandlungen noch. Es geht um eine Summe von bis zu zehn Milliarden Euro, der momentane Börsenwert wird allerdings nur auf vier Milliarden Euro veranschlagt. Die Bundesregierung knüpft die Unterstützung an Vorgaben, die Lufthansa-Chef Carsten Spohr unbedingt verhindern will. Es sollen Anteile von mindestens 25 Prozent erworben werden. Daraus würden zwei Aufsichtsratssitze inklusive Sperrminorität für die Regierung resultieren und somit ein erheblicher staatlicher Einfluss erkauft werden. Unterstützt wird das Ansinnen der Regierung von der Flugbegleitergewerkschaft UFO. Diese fordert, das Unternehmen „aktiv zu beeinflussen“, damit mit dem Geld „Ziele der Allgemeinheit“ erreicht werden können.
Konzernchef Spohr ist not amused über das Ansinnen der Bundesregierung: „Wenn die Bundesrepublik zu großen Einfluss auf operative Geschäftsaufgaben nehmen wolle, fordert das vielleicht die österreichische Regierung ebenso ein, dann möglicherweise auch die Schweiz, Belgien, Bayern oder Hessen“, sagte er der Wochenzeitung Die Zeit. „So können Sie einen Konzern nur sehr schwer steuern.“
Diese Corona-Pandemie ist unbestritten eine schwere Krise. Und es werden Millionen Menschen davon betroffen sein, ohne dass sie „schuld“ daran sind.
Aber eines ist auch klar: Große Konzerne und Banken haben es schon in der Finanzkrise geschafft, ihre Schäfchen ins Trockene zu bringen und für ihre Schulden die Allgemeinheit haften zu lassen. Und sie versuchen es wieder. Dabei haben sie zweifellos eine Mitverantwortung für diese Krise. Sie haben die Globalisierung zum Nutzen des Shareholder Values vorangetrieben. Für maximale Gewinne jagen sie rund um den Globus. Immer dahin, wo die Produktionskosten aufgrund niedrigerer Sozial- und Ökostandards am geringsten sind. Und sie finden breite Zustimmung und große Konsumbereitschaft in den westlichen Industriegesellschaften. Dass das so sein muss, um zu funktionieren, darüber herrscht Konsens, auch bei großen Teilen der Wirtschaftswissenschaftler*innen.
Am 20. April berichtete das Tagblatt von der Einschätzung der neuen Wirtschaftsweisen, Frau Prof. Dr. Monika Schnitzer. Sie ist zuversichtlich, dass Deutschland die Corona-Krise gut überstehen werde. „Ich erwarte, dass die Wirtschaft mit der langsamen Lockerung der Maßnahmen auch rasch wieder ins Laufen kommt“, sagte sie der Deutschen Presse-Agentur. „Der Anreiz, wieder aktiv zu werden bei den Unternehmen und auch der Nachholbedarf der Konsumenten seien groß.“
Einen anderen Ansatz verfolgt Dr. Niko Paech, Volkswirt und Professor an der Universität Siegen. In einem Interview für die taz sagte er Folgendes:
„Wir müssen auf Wirtschaftswachstum verzichten. Die deutsche Wirtschaft beispielsweise müsste weniger komplex und autonomer werden, damit im Krisenfall alle substanziellen Güter vor Ort hergestellt werden können. Eine Deglobalisierung mindert zwar die Kostenvorteile der entgrenzten Arbeitsteilung, stärkt aber die Stabilität. Das hat ökologische und soziale Wirkungen (…) Kürzere Wertschöpfungsketten lassen sich demokratischer und ökologischer gestalten, weil wir leichter auf sie einwirken können. Gleichwohl kann dies die Arbeitsproduktivität senken. Also steigen die Preise, während die Auswahl und die Produktionsmengen sinken, tendenziell auch die Löhne. Einfach weil Unternehmen dann die Produktion nicht mehr so leicht in spezialisierte Teilprozesse zerlegen und sie an die jeweils kostenoptimalen Standorte verschieben können. Dann werden die Menschen sich nicht mehr so viel leisten können. Die bessere Welt kriegen Sie nicht zum Nulltarif. Aber das bringt Krisenstabilität und neue Arbeitsplätze, wenngleich weniger im akademisierten als im handwerklichen Bereich ( … ). Früher oder später wird die Angst um die Überlebensfähigkeit unserer Zivilisation größer sein als die Angst vor dem Wohlstandsverlust, der sich zudem begrenzen und ertragen ließe. Aber je weniger Konsequenzen Richtung Postwachstumsökonomie gezogen werden, desto mehr gilt: Nach der Krise ist vor der Krise.“
Prof. Paech verweist mit seinen Anregungen auf die schon in der Bedeutung des Wortes „Krise“ liegenden Veränderungspotentiale. Krise als Wendepunkt, Krise als Aufbruch in eine neue Wirtschaftsordnung. In der Wikipedia steht dazu:
„Die Krise bezeichnet im Allgemeinen einen Höhepunkt oder Wendepunkt einer gefährlichen Konfliktentwicklung in einem natürlichen oder sozialen System, dem eine massive und problematische Funktionsstörung über einen gewissen Zeitraum vorausging (…). Die mit dem Wendepunkt verknüpfte Entscheidungssituation bietet in der Regel sowohl die Chance zur Lösung der Konflikte als auch die Möglichkeit zu deren Verschärfung.“
Das heiß diskutierte Interview unseres Bundestagspräsidenten Wolfgang Schäuble im Tagesspiegel wurde bereits viele Male zitiert, vorwiegend die Passage, in der er den bedingungslosen Lebensschutz in der Pandemie in Frage stellt. Der folgende Satz aus demselben Interview fand hingegen weniger Beachtung:
„Noch immer ist nicht nur die Pandemie das größte Problem, sondern der Klimawandel, der Verlust an Artenvielfalt, all die Schäden, die wir Menschen und vor allem wir Europäer durch Übermaß der Natur antun. Hoffentlich werden uns nicht wieder nur Abwrackprämien einfallen, die es der Industrie ermöglichen, weiter zu machen wie bisher.“
Also: Lassen wir es nicht zur Katastrophe kommen! Nutzen wir die Krise als Wendepunkt und entwickeln wir eine neue globale Ordnung, die unsere gemeinsame Zukunft sichert. Eine Zukunft ohne weltweite Ausbeutung von Mensch und Natur. Wagen wir die Transformation!