
Das stinkt zum Himmel
Ende Juli diesen Jahres konnten wir im Spiegel folgendes lesen: Seit vielen Jahren läuft ein Verfahren der EU-Kommission gegen Deutschland wegen anhaltend erhöhten Nitratwerten im Grundwasser. Und seit Jahren wird dies von der deutschen Regierung mehr oder weniger ignoriert. Die Macht der Agrarlobby sucht ihresgleichen in Berlin und in Brüssel. Eine letzte zweimonatige Frist soll Frau Klöckner zur Räson bringen. Dann geht der Fall wieder an den Europäischen Gerichtshof und dann könnten satte Strafen fällig werden: bis zu 850.000 € – pro Tag! Da käme dann innerhalb eines Jahres die schwindelerregende Summe von 300 Millionen Euro zusammen. Ende August soll die Kommission mit weiteren Maßnahmen-Ankündigungen von Frau Klöckner (Landwirtschaft) und Frau Schulz (Umwelt) beruhigt werden.
Das Problem mit der gegenwärtigen Nitratausbringung wird jahrzehntelange Folgen haben. Die heutigen Messungen spiegeln dabei nicht die zu erwartenden Folgen wider. Mindestens ein Viertel aller Grundwasser-Messstellen überschreitet schon heute den Grenzwert von 50mg/Liter. Hautptverursacherin ist mit großem Abstand die deutsche Landwirtschaft. Nur ein EU-Land hat noch schlechtere Werte als Deutschland: Malta mit 70% Überschreitungen. EU-Umweltkommissar Karmenu Vella wies darauf hin, dass in einem Drittel des deutschen Grundwassers überdurchschnittliche Nitratwerte gemessen werden und diese Regionen „zu den schlechtesten in der Europäischen Union“ gehören. Er zeigte sich „enttäuscht“ von den unzulänglichen Maßnahmen der Bundesregierung. Auch von den deutschen Flüssen seien 65% übermäßig mit Düngemittel belastet. Seine Einschätzung, dass dies zusätzliche Kosten von 580 bis fast 800 Millionen Euro pro Jahr verursacht, wird vom deutschen Branchenverband BDEW ausdrücklich bestätigt. Mitte Juli diesen Jahres meldete Greenpeace eine signifikante Düngerbelastung an der Ostsee: „Die anhaltend starke Überdüngung ist eine wesentliche Ursache für den dramatischen Artenschwund vor den Küsten der Ostsee.“
Dabei ist Nitrat ein extrem wichtiger Pflanzennährstoff. Der Stickstoff wird über die Wurzeln aufgenommen und zu Aminosäuren, dem Grundbaustoff aller Eiweißverbindungen und damit allen Wachstums, umgebaut. Ohne Nitrat also kein Pflanzenwachstum. Allerdings werden in Deutschland pro Hektar und Jahr durchschnittlich 100 kg Stickstoff zu viel ausgebracht. Diese Überdüngung hat eine massive ökologische Belastung der Grund- und Oberflächengewässer zur Folge. Das Umweltbundesamt schreibt dazu: „Nicht die Stickstoffausbringung, sondern der Stickstoff-Überschuss ist das Problem.“ Außerdem widerspricht das Umweltbundesamt auch dem Ziel der Bundesregierung, diesen Überschuss bis 2030 auf 70kg zu reduzieren. Das Amt hält eine Reduzierung um mindestens 50% für erforderlich. In einer Studie gehen diese Experten außerdem davon aus, dass in belasteten Gebieten die Aufbereitungskosten um bis zu 45% steigen könnten. In einer Studie vom BUND, veröffentlicht im Februar diesen Jahres mit dem Titel „Nitrat im Trinkwasser“, wird zu den Kosten der Trinkwasseraufbereitung folgendes geschrieben: „[…] am Ende bezahlen die Verbraucher*innen und Steuerzahler*innen für den präventiven Grundwasserschutz. Die eigentliche Verursacherin, die Landwirtschaft, wird hingegen nicht zur Verantwortung gezogen. Da die EU die Landwirtschaft mit jährlich gut 60 Milliarden Euro subventioniert, zahlen die Bürger*innen also sogar doppelt.“
Das Statistische Bundesamt veröffentlichte am 07. August aktuelle Zahlen zur Fleischproduktion in Deutschland für’s erste Halbjahr 2019:
Die Rindfleisch-Produktion stieg um 0,7% beziehungsweise 3.700 Tonnen im Vergleich zum Vorjahr, die Geflügelfleisch-Produktion sank um 0,7% respektive 5.300 Tonnen. Schweinefleisch wurde 3,7% weniger produziert, ist aber mit 2,6 Millionen Tonnen immer noch die bei weitem größte Produktionsmenge in Deutschland (Rindfleisch 1,6 Millionen Tonnen, Geflügelfleisch knapp 0,8 Millionen Tonnen.) Dabei ist die Tatsache, dass Deutschland einen durchschnittlichen Selbstversorgungsgrad von 117% erreicht (2017), ganz besonders absurd. Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft schreibt in seinem Bericht von 2018: „[…] Beim Außenhandel mit Fleisch, Fleischwaren und Konserven waren 2018 die Ausfuhren (4,3 Millionen t SG (Tonnen Schlachtgewicht – d. Verf.)) erneut höher als die Einfuhren (2,9 Millionen t SG). Der seit dem Jahr 2005 bestehende Exportüberschuss ist dabei im Vergleich zu den Vorjahren weiterhin rückläufig, von 1,75 Millionen t SG im Jahr 2016 auf nunmehr 1,38 Millionen t SG im Jahr 2018.“ Wir leisten uns also einen Exportüberschuss von fast 1,5 Millionen Tonnen im Jahr, statten einen nicht unerheblichen Teil davon mit sogenannten Exportsubventionen aus und schlagen uns gleichzeitig im eigenen Land mit den ökologischen und ökonomischen Folgekosten und einem massiven Höfesterben herum.
Eine Studie des Büros für Technikfolgen-Abschätzung zur aktuellen Lage in der Landwirtschaft kommt zu einem verheerenden Ergebnis. Vom Bundestag angefordert, malen die Experten auf 328 Seiten ein düsteres Bild. Insgesamt habe sich die ökologische, soziale und ökonomische Nachhaltigkeit der Landwirtschaft in den vergangenen deutlich Jahren verschlechtert:
- Der Einsatz von Ressourcen und Pflanzenschutzmitteln ist gestiegen.
- Die Artenvielfalt ging zurück.
- Die Abhängigkeit von Futterexporten ist gewachsen.
- Die Intensivierung der Nutztierhaltung, z.B. ohne Ausläufe, nimmt weiter zu.
- Es werden immer mehr Nutztierrassen mit sehr einseitigen und extremen Leistungspotentialen eingesetzt, inklusive erheblicher Folgen für die Tiergesundheit.
- Anhaltend hohe Arbeitsplatzverluste in der Landwirtschaft.
- Ungebrochenes Höfesterben als Kennzeichen einer mangelnden ökonomischen Nachhaltigkeit in der Branche. In den Jahren von 2010 bis 2017 ist die Anzahl der Rinderhalter um 18%, die der Milchkuh-Betriebe um 28% und die der Schweinebauern um 50% gesunken.
Immer weniger Bauern machen immer mehr Dreck, stehen immer mehr unter einem enormen ökonomischen Druck und immer mehr von ihnen müssen aufgeben und diesem Druck weichen. Und das, obwohl sich die deutsche Bevölkerung einer repräsentativen Befragung zufolge eine Landwirtschaft aus „vielen bäuerlichen Betrieben“ wünscht. Eins ist dabei jedoch sicher: Billig geht es auf keinen Fall. Den Preis bezahlen Sie als Konsument so oder so, ob an der Fleischtheke oder bei der Grundwasseraufbereitung. Der Grünen-Agrarpolitiker Friedrich Ostendorff sagt dazu: „Wir müssen jetzt alle Register ziehen, um unsere bäuerlichen Strukturen und die bäuerliche Landwirtschaft zu erhalten.“
Unter der Überschrift „Abfuhr für zwei Ministerinnen“ meldet tagesschau.de am 28. August: „Eigentlich wollten die Ministerinnen Klöckner und Schulze in Brüssel die Wogen im Nitrat-Streit glätten. Doch der EU-Kommission reichen die Vorschläge nicht aus. Deutschland muss eine Menge nachliefern – und das bald.“ Bis September hat Berlin nun Zeit, seine Reformvorschläge entsprechend anzupassen. Ministerin Schulze: „ … Wir sind auf dem richtigen Weg mit den Maßnahmen, die wir mit den Bundesländern vereinbart haben, aber wir müssen jetzt noch eine Menge nachliefern, etwa wissenschaftliche Belege.“ Es sei ihnen „sehr deutlich gemacht worden: Wir müssen einen detaillierten Plan vorlegen ( … ), was wir genau tun in Deutschland, um unser Trinkwasser sauber zu halten“.
Hat man da noch Worte?