
Billigfleisch-Boom in Deutschland
„Fleisch ist ein Stück Lebenskraft!“ hieß einer der bekanntesten Werbeslogans in den späten 1960er Jahren. Fleisch sollte vom Luxusgut zum Alltagsnahrungsmittel werden – gut und günstig. Dazu wurde massiv in die „Effizienz“ der Fleischproduktion investiert. 1970 musste für ein Kilo Schweinekotelett 96 Minuten gearbeitet werden. 2020 waren dies nur noch 24 Minuten. Die industrialisierte Fleischproduktion macht es möglich, dass wir für denselben Arbeitsaufwand viermal so viel Fleisch kaufen können! Mittlerweile 60 Kilogramm pro Kopf und Jahr. Die Fleischnationen an der Spitze der Liste sind Australien und die USA mit über 100 Kilogramm/Einwohner. Weltweit werden jährlich 320 Millionen Tonnen Fleisch und Wurst konsumiert. In vielen Ländern vor allem Afrikas und Südostasiens, liegt der Konsum bei unter 20 Kilogramm, also weit entfernt von den Essgewohnheiten in den Industriestaaten. Die konventionelle Fleischwirtschaft und der extrem hohe Verzehr in den Industriestaaten gehören zu den wesentlichen Treibern der ökologischen und sozialen Krise rund um den Globus, aber auch hierzulande. Tierschutz ist der wichtigste Grund für Verbraucher*innen, weniger oder gar kein Fleisch mehr zu essen. Dabei gibt es, global gesehen, sehr viel bedeutsamere „Kollateralschäden“ unseres hemmungslosen Fleischkonsums.
Über 30 Prozent der weltweiten Ernte von Feldfrüchten landen im Futtertrog. Das ist eine Katastrophe in Zeiten der weltweiten Hungerkrisen, welche momentan auch noch durch den Krieg in der Ukraine verschärft wird. Unsere Schweine fressen den Ärmsten das Brotgetreide weg und verknappen das Angebot, was zu den extremen Preissteigerungen führt, die aktuell weltweit zu beobachten sind. Das bekannteste Beispiel für die negative Ökobilanz ist der Sojaanbau. 90 Prozent der weltweiten Sojaernte wird verfüttert und landet auch in den Futtertrögen konventionell wirtschaftender Tierhalter in der Region. Soja verdrängt andere Feldfrüchte wie Speisegetreide, insgesamt bereits auf 125 Millionen Hektar Fläche. Und das alles, weil wir möglichst viel Fleisch zum günstigsten Preis essen wollen, welchen dann andere bezahlen müssen.
Über 20 Prozent der globalen Treibhausgasemissionen ist ursächlich mit der Fleischwirtschaft verknüpft. Allerdings liefern tierische Lebensmittel nur 37 Prozent der Protein- und sogar nur 18 Prozent der Kalorienversorgung. Also hat Fleisch ein sehr schlechtes Verhältnis von Aufwand zu Ertrag. Etwa 70 Prozent der gesamten landwirtschaftlichen Nutzfläche wird für die Fleischproduktion verwendet, entweder in Form von Viehweiden (circa 30 Prozent) oder für den Anbau von Futtermitteln (circa 40 Prozent).
In den Ländern, die Futtermittel wie Soja und Mais (USA, Brasilien, Argentinien) anbauen, steigt der Einsatz von Pestiziden immer noch stark an. In Südamerika sind häufig auch hochgiftige Mittel im Einsatz, die bei uns schon seit Jahrzehnten verboten sind. Diese werden von Syngenta und anderen Firmen weiter ohne Skrupel vertrieben. Hauptursache des exzessiven Pestizid-Einsatzes ist der in diesen Ländern nahezu flächendeckende Einsatz von genmanipuliertem Saatgut (GM). Je mehr das bevorzugte Totalherbizid Glyphosat zum Einsatz kommt, umso wahrscheinlicher wird es, dass Unkräuter gegen das Herbizid resistent werden – weshalb die Landwirtinnen und Landwirte wiederum auf größere Mengen und andere Unkrautvernichter zurückgreifen müssen. So ist ein Teufelskreis entstanden, von dem besonders die Pestizidproduzenten mit Bayer-Monsanto an der Spitze profitieren, da sie gleichzeitig die Lieferanten des GM-Saatguts sind.
Es gibt sogenanntes grünes, blaues und graues Wasser. „Grün“ bedeutet: natürlich vorkommendes Regen- und Bodenwasser. „Blau“: Entnahme aus dem Grund- und Oberflächenwasser zur künstlichen Bewässerung ohne „Rücklauf“ zu den Quellen. „Grau“: Bezeichnet die Menge an Wasser, die rein rechnerisch benötigt würde, um eingetragene Schadstoffe auf ein unschädliches Maß zu verdünnen. 30 Prozent des globalen Wasserfußabdrucks werden von der Fleischproduktion verursacht. Dabei ist die Art der Haltung und Fütterung von großer Bedeutung. Bis zu 94 Prozent des Wasserverbrauchs fallen bei der konventionellen Stallhaltung mit Fütterung von Kraftfutter aus Getreide und Soja an. Der Fußabdruck des blauen Wassers ist beim Kraftfutter 43-mal so hoch wie bei Gras oder Heu, bei Grauwasser sogar 61-mal so hoch. Das ist umso interessanter, da für deutsche Verbraucher*innen bei einer Entscheidung pro Bio-Fleisch häufig die tiergerechte Haltung im Vordergrund steht. Die Zahlen zeigen dabei eindrucksvoll: Aus ökologischer Sicht ist die Zusammensetzung der Futterration der Tiere der wesentliche Faktor und stellt eine vermeintlich „gute“ weil regionale, aber zugleich konventionelle Fleischerzeugung doch arg in Frage.
Jährlich sterben weltweit 700.000 Menschen an den Folgen von Krankheiten, die von antibiotikaresistenten Keimen ausgelöst wurden. 73 Prozent der weltweit verbrauchten Antibiotika werden, mit weiter steigender Tendenz, in der Tierhaltung eingesetzt. Sie sind effizient, kostengünstig und steigern den ökonomischen Erfolg. Das ist ganz besonders problematisch bei sog. Zoonosen, die durch eine Übertragung von multiresistenten Keimen vom Tier auf den Menschen ausgelöst werden können. Sogar die von der WHO definierten Reserveantibiotika werden, auch in Europa, immer exzessiver in der konventionellen Tiermast eingesetzt. Germanwatch hat in einer europaweiten Untersuchung von Hähnchenfleisch nachgewiesen, dass über 50 Prozent mit antibiotikaresistenten Keimen belastet sind. In 35 Prozent der Laborproben konnten Erreger nachgewiesen werden, die auch gegen die Reserveantibiotika resistent sind. Verbraucher*innen können sich bei der Zubereitung oder beim Rohverzehr des Fleisches mit diesen Keimen infizieren und schwer erkranken.
In Deutschland werden pro Tag über zwei Millionen Tiere geschlachtet. Die Berichte von untragbaren Zuständen in deutschen Schlachthöfen reißen nicht ab. Aktuellstes Beispiel ist die Schließung des Backnanger Schlachthofs im August diesen Jahres. Täglich werden Tiere tausendfach gequält, aber auch durch die rücksichtslose Ausbeutung von Arbeiter*innen hat sich die deutsche Fleischindustrie in Westeuropa einen Namen gemacht. Darüber freuen sich z.B. die Nachbarländer Niederlande und Dänemark, beide mit höheren Arbeitsplatzstandards in den Schlachthöfen, und fahren die Tiere lebend über die Grenze zur kostengünstigen Schlachtung „Made in Germany“.
Auch der Strukturwandel in der Tierhaltung schreitet unaufhaltsam voran. Und damit die industrielle Fleischproduktion und die Qual der Tiere. Besonders krass ist die Entwicklung beim beliebtesten Tier auf deutschen Tellern, dem Masthähnchen. Die Zahl der Mastplätze hat sich seit 2010 deutschlandweit von 67 Millionen auf 110 Millionen erhöht. In diesen Ställen werden jährlich 600 Millionen Tiere gemästet. Die Zahl der Masthähnchen pro Betrieb hat sich auf 29.000 Tiere fast verdoppelt. 35 Prozent der Betriebe halten über 10.000 Tiere und erzeugten im Jahr 2020 zu Dumpingpreisen 98 Prozent der Hähnchen.
Wenn das Fleisch billig verramscht wird, hat es keinen Wert und landet vielfach in der Mülltonne. In deutschen Haushalten wird eine jährliche Menge an Wurst- und Fleischabfällen erzeugt, die wieder in „ganze“ Tiere umgerechnet beispielsweise bei Schweinefleisch 640.000 Tieren entspricht. Bei Hühnern sind es fast 9 Millionen, die geschlachtet und dann weggeworfen werden. Und die „Verluste“ bei Schlachtung, Verarbeitung und Handel sind in dieser Rechnung noch gar nicht berücksichtigt.
Der exzessive Fleischkonsum bei uns ist zu einer globalen Überlebensfrage geworden. Es gibt zig gute Gründe, unseren Speiseplan radikal zu ändern. Und es gibt nur einen einzigen guten Grund, kein Biofleisch zu kaufen: Wir sind nicht bereit, den Wert der ökologischen Erzeugung zu bezahlen und unsere Mitgeschöpfe zu respektieren und vor Qualen zu schützen. Im deutschen Tierschutzgesetz heißt es im §1 Grundsatz: „Zweck dieses Gesetzes ist es, aus der Verantwortung des Menschen für das Tier als Mitgeschöpf dessen Leben und Wohlbefinden zu schützen. Niemand darf einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen.“ Der SZ-Autor Heribert Prantl schreibt zu dem Begriff „vernünftiger Grund“, dass „dieser Begriff (die) Bruch- und Quälstelle für den Tierschutz (ist).“ Und er fragt: „Gibt es für Tierquälerei einen vernünftigen Grund?“ Am Ende seiner Betrachtung fasst er zusammen: „Von gefühligen Deklamationen haben die Tiere und die Menschen nichts. Es braucht eine fundamentale Neubestimmung des Verhältnisses von Mensch, Tier und Schöpfung.“